Das Lesen von Sonagrammen V1.0 - Vertiefung

"Sonagramm einer unbekannten Äußerung entschlüsseln"
nach FANT

Kirsten Machelett

Nach FANT (1963, S.241f) könnte die generelle Prozedur, um das Sonagramm einer unbekannten Äußerung zu entschlüsseln, folgendermaßen ablaufen:

  1. Bestimme die Segmentgrenzen.
  2. Starte einen ersten Versuch, den Segmenttyp zu klassifizieren.
  3. Identifiziere Segmentlücken als Markierer von Pausen oder Verschlußphasen stimmloser Plosive.
  4. Bestimme F0-Minima als mögliche Nahtstellen.
  5. Identifiziere Segmente, die als Vokale fungieren und klassifiziere sie als betont oder unbetont, lang oder kurz.
  6. Identifiziere den Sprechertyp durch mitteln von F0, gemittelten F3 und neutralen, nichtakzentuierten vorderen Vokal als Basis zur Normalisierung von Artikulationsort-Eigenschaften.
  7. Versuche eine durchgehende Schätzung der Artikulationsstelle über den gesamten Satz.
  8. Versuche die absolute Erkennung einiger Vokale und charakteristischer Konsonanten wie [s], besonders in betonten Silben, die nicht so sehr durch Koartikulations- oder Reduktionsphänomene beeinflußt sind.
  9. Schätze die Anzahl der Phoneme oder wichtigsten Allophone in der Äußerung.
  10. Sobald Silbenkerne und einige Konsonanten erkannt sind, wende phonotaktische Regeln an, um die Anzahl der Möglichkeiten für die verbleibenden schwierigeren Konsonanten zu reduzieren.
  11. Teste sie unter Berücksichtigung von Koartikulation und Reduktion, die in einem bestimmten phonetischen Kontext zu erwarten sind.
  12. Revidiere frühere Identifikationen, falls notwendig.
  13. Versuche eine enge phonetische Transkription.
  14. Wende phonotaktische Regeln an, um Wortgrenzen festzulegen.
  15. Schlage jedes Wort in einem phonetischen Wörterbuch nach.
  16. Wende semantische Regeln an, falls sie Dir zur Verfügung stehen, um die endgültige Identifikation zu erleichtern.

Auch dieser Vorschlag, der wesentlich ausführlicher ist als der des JIPA, enthält viele nützliche Hinweise, wie ein Sonagramm 'entschlüsselt' werden kann. Während der Vorschlag des JIPA besonders in einigen Teilen für Sonagramme des Englischen gedacht ist, gibt FANT hier eine sprachunabhängige Strategie vor.


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Kirsten Machelett